Archiv 2009: Fundschrift, Gero-Codex, Handschrift als Font, Murmelschrift, Copperplate-Videos, Kalligraphiefüller, Pigmente, Papier u.a

Gero-Codex

Dezember: In Arnsberg macht ein Weltkulturerbe Station: Der Gero-Codex, der lange im Arnsberger Kloster Wedinghausen bewahrt und im Zuge der Säkularisation nach Darmstadt verschleppt wurde, wird bis zum 17. Januar am alten Ort ausgestellt. Das Buch darf überhaupt nur alle 25 Jahre an die Luft, wie es bei den kostbarsten Werken mittelalterlicher Buchkunst inzwischen usus ist. Es ist also eine wirklich einmalige Gelegenheit. Gero war der Auftraggeber des Evangelistars (nur Auszüge der Evangelien sind enthalten), es wurde von einem einzigen Schreiber und Buchmaler namens Anno in einem Jahr angefertigt. Die Handschrift enthält 298 Evangelientexte für den gesamten Jahreslauf. Das Buch ist um 960 n.Chr. herum im Kloster Reichenau entstanden, dass sich damals zu einem bedeutenden Scriptorium entwickelte. Den Miniaturen sind keltische Einflüsse anzumerken, manche Initiale könnte auch von den Künstlern des Book of Kells angefertigt worden sein. Die überaus kunstvollen Rahmenornamente erinnern in ihrer Ausführung auch stark an das Echternacher Evangeliar, das aber viel später entstand. Die Echternacher Mönche haben vielleicht bei Anno abgeschaut. Unten zwei Detailvergleiche, links aus dem Echternacher Codex Aureus.
Zeitgleich wird im Sauerlandmuseum, fußläufig vom Kloster Wedinghausen entfernt, der Hitda-Codex ausgestellt. Arnsberg ist zur Zeit wirklich ein kleines Mekka für Schrift-Interessierte!

November: Die Zeit der Weihnachtsmärkte beginnt. Am 29.11. bin ich in Westünnen bei Hamm an der Von-Thünen-Halle, die beiden ersten Dezemberwochenenden (2. und 3. Advent) wieder im Wildwald Voßwinkel. Beide Märkte lohnen das Kommen.

Font entwerfen leicht gemacht

Oktober: wer die eigene Handschrift oder eine kalligraphische Schrift als Font für den PC haben möchte, wird bei fontcapture.com fündig. Die Seite ist zwar auf englisch, aber das Prinzip ist schnell erklärt. Man lädt sich eine Vorlage mit den Zeichen eines Alphabets und Kästchen zum eintragen der Buchstaben herunter. Beim Eintragen sind kleine Markierungen an den Kästchen eine Hilfe, die baseline ist die Grundlinie, Ascender die obere Begrenzung der Buchstaben. Unterlängen wie bei g oder f werden bis zur unteren Markierung ausgeführt. Man nehme nun einen schwarzen Stift und Papier, auf dem nichts ausfasert, fülle die Kästchen und scanne das fertige Blatt ein (mindestens mit 200 dpi). Als jpg gespeichert wieder bei fontcapture hochladen, und binnen Minuten kann man den fertigen Font ansehen. Es kommt sehr darauf an, die Buchstaben exakt in die Mitte der Kästchen zu zeichnen, weil die Abstände im Font sonst ungleichmässig werden. Am einfachsten ist das Verfahren für die eigene Handschrift, die man schnell und sicher aufs Papier bringt.

September: ein bißchen was zum lachen: so präsentierte Faber-Castell vor einiger Zeit die neueste Textverarbeitungssoftware.

Auf Papier gemurmelt…

August: Die Ankunft des neuen Jahresheftes der Schreibwerkstatt Klingspor ist ein anregendes Ereignis. Aus den Berichten über die Schreibkurse des Vereins lässt sich immer Honig saugen und Anregungen für die eigene Arbeit gewinnen (natürlich bei weitem nicht so intensiv wie es durch die Teilnahme möglich wäre). Lustig fand ich die Ideen zur Hintergrundgestaltung: „Murmelpapier“ zum Beispiel. Man lasse eine Murmel in einer flachen Schale zuerst durch Farbklekse und dann über Papier rollen. Oder versuche nach demselben Prinzip eine Hintergrundgestaltung mit Spielzeugautos. Interessant auch der Hinweis auf die Stiftung Deutsche Schrift, die zwar durchaus schon bekannt ist, aber nicht ihre Förderpreise für typographische Kunst mit gebrochenen Schriften. Die landläufig als „altdeutsche Schrift“ benannte Fraktur wird merkwürdigerweise mit der Nazizeit verbunden, obwohl das Hitlerregime die „Lettera tedesca“ als Judenlettern verunglimpfte und verbot.

Juli: Die Gänsefeder war jahrhundertelang das wichtigste Schreibinstrument, flexibel und für filigranste Schriftzüge geeignet. Das mühevolle Nachschneiden der Feder war ihr größtes Handycap, ermöglichte aber auch eine individuelle Schreibweise, da der Anschnitt Auswirkung auf den Schriftduktus hatte. Erst Alois Sennefelder (1741 – 1834), der Erfinder der Lithographie, stellte sich zur Beschriftung seiner Steinplatten aus einer Uhrfeder eine erste Stahlschreibfeder her. Um 1822 entwickelte John Mitchell in England, dem Mutterland der Stahlproduktion, die ersten Stanzfedern. Es gilt aber als der Verdienst des Joseph Gillot aus Sheffield, die Perfektionierung der Stahlfeder zu ihrem Ende gebracht zu haben.

Federvielfalt

Juni: Die großen Schriftenzeichner orientierten sich bei der Buchstabenentwicklung gern am menschlichen Körper, bzw. am „goldenen Schnitt“. Der hier abgebildete Buchstabe von Geofroy Tory aus dem 16. Jahrhundert macht diese Konstruktionsbasis sehr deutlich. Zur Vereinfachung benutzte auch er bereits Gitternetzlinien, die uns auch heute noch bei der Entwurfszeichnung begleiten. Für das geschriebene Wort wurden die Serifenschriften entwickelt, wie z.B. die Times (1932 für die gleichnamige Zeitschrift entworfen). Serifen heißen die „Füßchen“ an den Buchstaben, die die Grundlinien verlängern und optisch ausprägen. Dadurch ergibt sich eine bessere Lesbarkeit. Für Bildschirmschriften werden dagegen gern serifenlose (meist mit dem Zusatz „sans“ gleich französisch „ohne“) Schriften gewählt. Diese ermüden (gerade bei längeren Textpassagen) das Auge nicht so sehr. Der englische Bildhauer und Schriftenkünstler Eric Gill (1882 bis 1940) entwickelte beispielsweise die Gill sans, die auch heute noch als Computerschrift eingesetzt wird. Schriften für den PC sind teuer. Die Gill in verschiedenen Schriftschnitten (normal, fett, kursiv, light etc.) kostet bei einem professionellen Anbieter rund 120 Euro.

Mai: Auf der Suche nach Kalligraphie-Videos bin ich bei Youtube fündig geworden, Zum Beispiel Schriftübungen der Copperplate. Oder keltische Knoten zeichnen, einfache (sieht zumindest so aus) und kompliziertere. Die Anglaise wird mit der Spitzfeder geschrieben, hier mit einem Endoskop beobachtet.

Schreibmeister Zapf „Saphir“

April: Eine hübsche Idee ist der Einbau von Ornamenten in eine bauchige Schrift. Hier ein Beispiel von Hermann Zapf, die Schriftart Saphir. Solcher Zierrat kann entweder ausgespart werden, indem die Buchstabensilhouette und der Umriss des Ornaments angelegt und dann ausgefüllt werden. Oder aber die Schrift normal geschrieben wird und das Ornament mit einer deckenden Flüssigkeit aufgetragen werden, was natürlich wesentlich weniger Zeit und Sorgfalt erfordert.

März: Frühe Kalligraphiefüller von Rotring wurden mit einem feinen Schleifstein ausgeliefert. Auf diesem, mit Wasser anzufeuchtenden Stein, konnte die Feder den Bedürfnissen des Schreibenden angepasst werden. Federn für Rechtshänder werden rechts angeschrägt, Federn für Linkshänder entsprechend links angeschrägt. Wem diese Operation am teuren Füller zunächst widerstrebt, der sollte mit einfachen Bandzugfedern anfangen. Eine 2 Millimeter Feder tut als Versuchsobjekt gute Dienste. Jede Hand ist anders. Jede Schrift wird anders geschrieben. Ein häufiger Schreibwinkel ist 30 Grad. Der Strich auf dem Papier sollte scharf und klar sein, die Kante rechts und links nicht ausgefranst.

Februar: Wer etwas über Pigmente nachlesen und sie vor allem ausprobieren möchte, sehe nach bei Andreas Schenk im Baseler Scriptorium, das ist schon recht informativ. Um erste Experimente anzustellen, sollte man mit den billigsten und vor allem ungiftigen Pülverchen anfangen, Ocker z.B. oder Persisch Rot… Aber woher? Thomas Seilnacht hat seit Jahren eine sehr informative Seite online und empfiehlt Kremer-Pigmente. Da bekommt man alles, was an Pigmenten auf dem Markt ist.

Ts´Ai Lun

Januar: Es gibt unzählige Sorten von Papier, und für die Kalligraphie ist diese Vielfalt Fluch und Segen zugleich, denn jede Oberfläche reagiert mit jeder Schreibflüssigkeit anders. Ts´Ai Lun, der geniale Chinese, der das Papier offiziell erfand, stellte das erste Papier der Sage nach unter Verwendung von Hanf (Cannabis sativa) und Lumpen her. Hanfpapier wird heute wieder häufiger hergestellt, weil die Pflanze schnellwüchsig und der Rohstoff billig, ökologisch unbedenklich und sehr leicht ist. Wahrscheinlich spielten aber auch der Maulbeerbaum u.a. Pflanzenfasern eine Rolle beim „ersten“ Papier (welches von Ts´Ai Lun wohl nur konsequent weiterentwickelt wurde).
Für besondere Schreibarbeiten sollte man immer ein paar Blatt Papier mehr als notwendig besorgen, um die Schreibflüssigkeiten testen zu können.