Dezember: Die Zeit des Barock, etwa die Jahrhundertwende vom 16. zum 17. Jahrhundert, beeinflusste die Kalligraphie zu ausufernden Spielereien. Es war die Zeit der mächtigen Fürsten, die sich prunkvollste Paläste mit verspielten Gärten bauen liessen, üppige Perücken trugen und ihre Tage in Dekadenz und ausschweifenden Festen verbrachten. Alles war ausgeprägt und ausschweifend, die Architektur wie die Malerei, und die Schriftkunst entwickelte analog zu diesen Strömungen eine Formenvielfalt, die uns heute eher übertrieben erscheint. Paulus Franck, ein Schreibmeister aus Memmingen, veröffentlichte 1601 seine Schatzkammer der Schreibkunst. Teilweise sind hier seine Schriften digitalisiert.
November: Die eigene Handschrift will geübt sein, das wird jeder für sich feststellen, wenn er nach Jahr und Tag einmal wieder ein Postkärtchen aus dem Urlaub schicken will. Eine ruinöse Angelegenheit für die Handschrift ist nicht nur der tägliche Umgang mit dem Computer, sondern auch die Nutzung von Kugelschreibern statt Füllfederhaltern. Andreas Schenk vergleicht den Gebrauch des Kulis mit dem des Federhalters in der Wirkung, als wenn man mit Müllsäcken am Fuß übers Eis rutscht im Vergleich zum Schlittschuh laufen. Zu Goethes Zeiten, als Gänsefeder und Federhalter noch usus waren (rechts eine Original-Seite aus dem Faust) wurde weniger auf Schnelligkeit denn auf Schönheit Wert gelegt. Aber heutzutage gewinnt eine leserliche Handschrift wieder mehr Freunde. Man hat nun mal nicht jederzeit einen Drucker zur Hand, um eine Botschaft zu hinterlassen.
Oktober: Am Sonntag, 23.10. ist Abschlussveranstaltung der Landesgartenschau in Hemer. Wir sind mit dem GRAL e.V. am Spielplatz „Zwergengold“ mit mittelalterlichen Spielen und Scriptorium. Da es um Pigmente geht, stöbere ich gerade mal wieder nach allen möglichen Ideen. Hier gibt es Handschriften des Klosters Reichenau. Das Wort Miniatur leitet sich übrigens vom Pigment Menninge (lateinisch Minium) ab, das beim Zerstossen hellrot wird. Bis Ende der 70er Jahre wurde die leuchtend orangefarbene, aber schwer giftige Farbe sogar noch allerorts als Rostschutzmittel eingesetzt.
Farben hatten in den Miniaturen in der Regel feste Bedeutungen, mit denen jeder etwas anfangen konnte. Der Mantel der Gottesmutter hatte immer blau zu sein, die Farbe der Reinheit, des Firmaments, auch des Wassers und damit symbolisch auch für den heiligen Geist stehend. Grün als Farbe des Lebens, Wachsens und der Hoffnung. Weiß, die Farbe des Lichtes und der Unschuld, hergestellt als Bleiweiß durch Oxidation, auch eine ziemlich giftige Sache. Rot wie Blut, erfüllte Liebe (grün hofft nur darauf), Farbe des Krieges und Schutz vor der bösen Magie. Richter im Mittelalter unterschrieben Todesurteile mit roter Tinte, noch heute tragen Richter rote Roben. Lehrer korrigieren mit dem Rotstift… Die Symbolik der Farben trägt bis in heutige Zeit, oft ohne dass die Ursprungsbedeutung noch bewusst ist.
September: Wer möchte, kann einen VHS-Kurs von mir besuchen; „Briefumschläge kalligraphisch gestalten„, findet statt am Freitag, 17. September 2010, 15:00 Uhr in der VHS Neheim, Möhnepark, Werler Str. 2 A.
August: Hemingway hat einmal den schönen Satz gesagt: „Man braucht zwei Jahre, um sprechen zu lernen und 50 Jahre, um schweigen zu lernen.“ So ähnlich verhält es sich mit der Kalligraphie. Schreiben lernen ist keine große Kunst, wenn man es als Kind lernt. Auch verschiedene Schriften zu beherrschen ist nicht sehr schwer, wenn man erst einmal über diese Basis verfügt. Die Kalligraphie aber ist die Kunst der Formauflösung, und dies ist das Schwierigste. Die vorgegebene Struktur zu verlassen, oder den formalen Rahmen zu sprengen und der freien Form gegenüber zu stellen und Spannung zu erzeugen, ist erst nach langer Übung zu erreichen. Hilfreich beim Verlassen alter Schriftpfade ist sicherlich, sich mit unbekannten Werkzeugen zu befassen. Eine schöne kreative Übung ist es, mit Pappstreifen zu experimentieren. Man braucht einen handlichen dünnen Bambusstab in 20-30 cm Länge, den man vorn mit einem scharfen Messer einschlitzt. Starke Pappe kann in diesem Schlitz eingespannt werden. Und diese Pappe lässt sich mit einer Nagelschere beliebig gestalten, mit Kerben oder Schlitzen versehen, so dass ein interessantes Schriftbild herauskommen kann.
Juli: Hups, der Monat ist schon fast wieder rum. Sommerträgheit… aber ich habe in Sand geschrieben! Leider nur mit dem Finger, mit einer feinen Redisfeder, sozusagen. Nächstes Mal nehme ich ein Stück Treibholz! Kalligraphie kann einen überall mit hin begleiten, das ist das Schöne an ihr. Man hat sie immer bei sich, wenn man einmal mit ihr richtig Freundschaft geschlossen hat.
Ein paar Fundstücke habe ich noch zu bieten: in Göttingen gibt es außer einer Gutenberg-Bibel (besonders die Detailansichten sind gut, man muß aber Flash installiert haben) auch das Göttinger Musterbuch. Der Umgang mit Pigmenten und die Anlage dreidimensionaler Muster, wie sie in den ersten Druck-Bibeln von Hand eingemalt wurden, sind hier detailliert dargestellt.
Juni: Passend zum untenstehenden kleinen Pigment-Exkurs hier ein toller Tipp: Eine unvergleichliche Faksimile-Ausstellung läuft noch bis zum 18. Juli in Iserlohn. Vom Stundenbuch des Duc de Berry über dasselbe von Isabella von Kastilien, der Bamberger Apokalypse, dem Book of Kells und Lindisfarne oder dem Perikopenbuch Heinrich II., alle Kostbarkeiten der Buchkunst sind hier versammelt und lassen sich DURCHBLÄTTERN! Eine solche Gelegenheit bietet sich nicht alle Tage. Die Adresse ist Fritz-Kühn-Platz 1 58636 Iserlohn, Öffnungszeiten Di bis So 10-17 Uhr, Do sogar bis 19 Uhr. Montags geschlossen.
Wer einmal mit Pigmenten gearbeitet hat, wird ihre leuchtenden Farben schätzen lernen. Es ist ein ganz anderes Erlebnis der Kalligraphie, wenn man sich seine Farben erst einmal zermörsern und anrühren muss. Pigmente sind unbegrenzt haltbar, und manches ererbte Töpfchen voller Mineralstücke kann heutzutage beträchtlichen Wert haben, weil die Preise in den letzten hundert Jahren gestiegen sind. Wer über Internet bestellt, wird an Kremer Pigmente nicht vorbei kommen, der das sicherlich umfangreichste Farbsortiment online hat.
Zusätzlich bedarf es noch eines Bindemittels, davon gibt es eine Menge. Ein schöner Satz vom Maler Franz von Lehnbach konstatiert, geeignet sei dazu „alles was bappt“. Eine einfache Emulsion ist mit Hühnerei zu erzielen, Eiweiß solo gibt eine magere, mit Dotter vermischt eine fettere Variante, die langsamer trocknet. Übermalt man eine fette Mischung mit einer mageren, kann es Risse bei der Trocknung geben (daher gilt immer „fett auf mager“ in der Malerei). Es empfiehlt sich ein tröpfchenweises Einrühren der Eitempera in das Pigment, um eine bessere Stabilität der Emulsion zu erzielen. Für die klassische Illumination in der Kalligraphie empfiehlt sich eine reine Eiweiß-Pigment-Mischung. Das Eiweiß wird zunächst schaumig gerührt, nach einer kurzen Standzeit sammelt sich Eiklar unter der Schaumschicht, dass die beste Konsistenz aufweist. Der pulverisierte Farbstoff wird etwa 1 zu 1 mit dem Bindemittel vermischt und für das Malen mit der Feder noch mit Wasser verdünnt.
Mai: Lesezeichen sind eine schöne kalligraphische Übung. Spielberg hat angeblich gesagt: „ Warum soll man einen Dollar für ein Lesezeichen ausgeben, wenn man den Dollarschein genausogut als Lesezeichen verwenden kann?” Ansichtssache. Verschenken kann man beides, aber Dollarscheine kann/soll man eben nicht selber machen 😉
Ein schön geschriebenes Lesezeichen kommt immer an und hat praktischen Nutzen. Vor allem für Werbung wurde es schon immer gern genutzt, eine dicke Sammlung steht im Lesezeichenmuseum online. Für alle Kalligraphiebegeisterten jedenfalls eine große Spielwiese! Man kann einfach einen Namen schreiben, oder einen schönen Spruch, man kann gepresste Blumen aufkleben, mit der Feder einen Rahmen zufügen, verschiedenste Formen sind möglich (die Bildersuche im Internet ist Fundus für Silhouetten), man kann Fädchen mit Abschlussquast ankleben oder sonstigen Schnickschnack, der halt gerade passt zu Person oder Anlass. Echte Kunstwerke sind auch auf dieser englischsprachigen Seite zu bewundern: Mirage Bookmark, inzwischen (2022) nur noch als Blogseite. Es gibt verschiedenste Lesezeichenmaterialien, Papier ist sicher das gebräuchlichste, aber Metall, Leder, Pergament oder Stoff gehen auch.
April: Louis Barbedor gilt als einer der größten Schriftkünstler des 17. Jahrhunderts. Geboren 1589 als Sohn eines Schreibmeisters arbeitete er von 1630 bis zu seinem Tod im Jahr 1670 am Hof des französischen Königs. 1647 veröffentlichte er das Standardwerk „Les Escritures financiere et italienne bastarde dans leur naturel“, und berühmte Typographen wie Hans Eduard Meier würdigen sein Werk bis heute, u.a. indem sie ihre Schriften nach ihm benannten.
Von ihm stammt der schöne Satz: „Schreiben – weder eine mechanische noch eine freie Kunst, sondern die Wurzel von beidem. Nicht Wissenschaft, sondern der Weg der Wissenschaften, nicht Tugend sondern Verwalterin der Tugenden, zur Erhellung des Verstandes und der Ergetzung der Augen geboren.“
März: Der Codex gigas ist eines der rätselhaftesten Bücher des Mittelalters. Die Bezeichnung „gigas“ verdeutlicht die Ausmaße des Manuscriptes, mit 92 cm Höhe, 50 cm Breite und 22 cm Dicke ist es das größte Manuscript der Welt. Die auf Seite 50 stehende Abbildung des Teufels brachten ihm den Beinamen „Teufelsbibel“ ein. Zudem entstand die Sage von der Mitautorenschaft Satans am Werk.
Die Bibel wurde wahrscheinlich in einem böhmischen Benediktinerkloster geschaffen. Es soll die Sühnearbeit eines Mönches gewesen sein, der zur Strafe für seine Sünden eingemauert werden sollte, dann aber versprach, in einer Nacht ein Buch über das gesamte Wissen der Menschheit zu schreiben. Gegen Mitternacht erkannte er, dass er sich da wohl etwas überhoben hatte, verkaufte dem Teufel seine Seele und bekam das Buch fertig. Dafür malte er den Mitautoren in derart drastischer Darstellung ins Buch, dass es die Leser nachhaltig faszinierte. Die Seite 50 wurde so oft aufgeschlagen, dass die Seite inzwischen durch Oxidation schwärzlich verfärbt ist (was natürlich zusätzlich als Zeichen des Teufels erkannt wurde, quod erat demonstrandum).
Kaiser Rudolf II. von Böhmen bekam das Buch 1593 von den Benediktinern für seine Kuriositätensammlung geschenkt, und er befasste sich derart intensiv damit, dass er darüber das Regieren vergass. Er wurde schließlich von den eigenen Brüdern entmachtet, die Schweden übernahmen am Ende des 30jährigen Krieges die Plünderung seiner Besitztümer und transportierten u.a. auch den Codex gigas ab. Heute liegt er in der Nationalbibliothek in Stockholm.
Neuere Forschungen bescheinigen die Urheberschaft einer einzigen Person. Das ganze Werk ist in derselben Tinte geschrieben, Abweichungen im Schriftstil sind nicht zu erkennen. Auch darum geht man von einem extrem kurzen Entstehungszeitraum aus. Allerdings dürfte der Betreffende immer noch 20 Jahre gebraucht haben, das Buch ist auch noch reich illuminiert.
Hier ist eine komplette Ansicht der Einzelseiten abrufbar: Schwedische Nationalbibliothek
Auf dieser Seite eine komplette Dokumentation vom National Geographic.
Februar: Exlibris sind Bucheignerzeichen. Im 16.Jahrhundert gab es eine erste Blütezeit,eine weitere um die Jahrhundertwende zum 20. Jhd, der sogenannten Jugendstilzeit, bis etwa 1910. Die Aufwändigkeit dieser Bucheinkleber war teilweise enorm. Holzschnitte, Siebdrucke, Linoldrucke, Kupferstiche, Steindrucke und noch mehr Verfahren wurden eingesetzt, das Ex libris war eigene Kunstform, und wer etwas auf sich hielt, liess sich ein eigenes entwerfen. Sammlungen finden sich im Gutenberg-Museum Mainz, in der Bayerischen Staatsbibliothek München und im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg.
Außerdem lohnt der Besuch im British Museum London und in der Österreichischen Nationalbibliothek Wien.
Es ist reizvoll, sich sein eigenes Exlibris zu erstellen. Motive finden sich im Internet zur Genüge,zum Beispiel bei der österreichischen Exlibris-Gesellschaft die eine Galerie bedeutender KünstlerInnen online gestellt hat, die sicher Anregungen genug liefern können.
Zum Einkleben wird Buchbinderleim wie Planatol oder Eukalin empfohlen. Üblicherweise wird die Innenseite des vorderen Bucheinbandes mit dem Exlibris versehen.
Eine einfache Lösung ist aber auch ein ExLibris-Stempel, der nach der eigenen Vorlage gefertigt wird, jeder Büroservice vor Ort kann das mit einer eingescannten Vorlage. Die Zeit der getrennten Stempelkissen ist auch vorbei, Selbstfärber mit integriertem Kissen sind erschwinglich geworden. Allerdings hat man dann eben nur eine Farbe zur Auswahl.
Januar: Die Kurrentschrift war die gängige Schreibschrift im europäischen Raum bis Mitte des 20. Jahrhunderts. Der Name leitet sich vom lateinischen currere = laufen ab, die Kurrent ist eine Laufschrift, kursiv geschrieben und geeignet für schnelles Schreiben, wie man es im Alltag braucht. Bei Wikipedia wird das anschaulich erklärt. Erst später wurde aus ihr die Sütterlinschrift entwickelt, deren Buchstaben aufrecht stehend geschrieben werden.
Ebenso wie die Fraktur war die Kurrent eine gebrochene Schrift, d.h. die Buchstabenformen waren nicht rund wie z.B. bei der lateinischen Schrift, sondern oben und unten geknickt. Weil Hitler die gebrochenen Schriften nicht leiden konnte, wurde eine an den Haaren herbeigezogene Geschichte von den „Schwabacher Judenlettern“ in die Welt gesetzt, und im Januar 1941 verbot man die Fraktur als Buchdruckschrift, im Dezember dann die Sütterlinschrift an den Schulen. Durchgesetzt werden konnte das nicht sofort, mitten im Krieg gab es wichtigere Sachen, aber nach dem Ende des 3. Reiches wurde Kurrent bzw. Sütterlin und Fraktur dennoch nicht wieder eingeführt. Nur noch in einigen Bundesländern wurde sie nach 1954 als zweite Schrift gelehrt, verschwand aber nach und nach aus dem Alltagsgebrauch. Schade eigentlich, denn es ist eine schöne Schrift, und nicht schwer zu erlernen. Wer sie sich erst einmal auf den PC holen will, um sich an das Schriftbild zu gewöhnen findet sie unter www.kurrent.de es gibt aber noch einige Seiten mehr, die sich mit dieser eigentlichen „deutschen Schrift“ befassen. Geschrieben wird sie vorzugsweise mit der Spitzfeder, die Aufstriche haarfein, die Abstriche kräftig. Die Sütterlin wurde als Schulschreibschrift dagegen mit der leichter zu handhabenden Redisfeder geschrieben.