Archiv 2015: Hobbit-Schrift und Walnusstinte, Schriftgeschichte und alte Federn

Dezember: Vor lauter Weihnachtsmarkt mal wieder zu nix gekommen… jetzt wird nachgeholt! Goldene und silberne Aquarelltinte
Vor kurzem habe ich entdeckt, dass es Aquarellfarbe inzwischen in Gold und Silber gibt. Kann was! Eine wirkliche Alternative zu den oft ziemlich teuren Metalltuschen, die (besonders die Goldtinten) in den verschiedensten Farbtönen auftreten, die nicht immer schön sind. Meine Lieblingsfarbe kommt von Schmincke/Horadam und besteht aus Perlglanzpigmenten. Das sind höchst lichtechte spezielle Glimmer. In einem aufwändigen Verfahren werden dünne Glimmer-Plättchen mit Titandioxid und/oder Eisen-III-oxid beschichtet. Wer sich umfassend mit dem Thema befassen möchte, dem sei dieser Artikel aus dem Spektrum der Wissenschaft ans Herz gelegt.

Hobbit-SchriftNovember: Gerade erst „Der Hobbit – Eine unerwartete Reise“ gesehen, und gewundert über die wenig professionelle Handhabung der Gänsefeder. In fast allen Filmen ist die Darstellung der Handschrift dilettantisch, oft zeigt man gar nicht die Spitze der Feder, und im Hobbit wird eine Feder benutzt, die gar nicht richtig angeschnitten ist. Man fragt sich, wie überhaupt ein lesbarer Buchstabe damit zustande kommt.
Die Schrift ist es aber durchaus wert, geschrieben zu werden. Eine leicht abgewandelte Unzialis mit Kleinbuchstaben, einzelne Buchstaben mit einer dreifachen Punktierung versehen, die im Fliesstext ganz witzig aussieht. Bei Fontspace gibt es Bilbos Schrift (und andere Herr-der-Ringe-Schriften) als ttf zum Runterladen. Man muss die Zip-Datei extrahieren und die ttf-Datei dann in den Windows/Fonts Ordner kopieren, damit man sie im Schriftprogramm nutzen kann.

Oktober: Mal was zum Nachschreiben: Eine gothische Schrift aus einem sehr alten Heft eines Leipziger Verlags.
Gotische MajuskelnSo alt, dass es nicht mal ein Impressum gibt. Es sind nur die Majuskeln vorhanden, aber die finde ich schon sehr interessant zu schreiben, man kann ja mit anderen gothischen Minuskeln kombinieren.

Unreife Walnüsse am BaumSeptember: Die Walnüsse sind reif, und ich habe nach Rezepten gesucht, wie man Tinte daraus macht. Wenn die Früchte jetzt herunter fallen, lässt sich die grüne Schale um die eigentlichen Nüsse leicht lösen. Wenn nicht, einfach mitkochen. Man nehme also die Schale von 12 Walnüssen, zerhämmere sie in einer alten Socke oder einem Stück Stoff und setze sie mit etwas Wasser zum Kochen an (gerade genug Wasser, um die Schalen zu bedecken). Das Ganze eine halbe Stunde köcheln, danach über Nacht stehen lassen.
Durchsieben (Stück Stoff, altes Trockentuch o.ä.) und mit einem halben Teelöffel Salz sowie einem halben Teelöffel Essig versetzen. Ersteres konserviert, der Essig hält die Farbe leuchtend. Der erste Versuch hat untenstehende Tintenfarbe ergeben. Sehr gute Schreibeigenschaften, die Farbe könnte noch etwas kräftiger sein, aber sie gefällt mir eigentlich schon sehr gut. Vielleicht nochmal mit frischen Schalen aufkochen. Bei 12 Walnüssen kamen jetzt etwa 100 ml Tinte heraus.

August: Zeit der Galläpfel, Zeit für die Herstellung von Eisengallustinte! Diese dokumentenechte Tinte wird seit jeher (ein erstes Rezept datiert auf 210 v.Chr.) und bis heute für Staatsverträge und wichtige Urkunden genutzt. Sie ist (ohne Zusatz von Farbstoffen) zunächst blassgrau-transparent, um auf dem Papier sehr schnell nachzudunkeln und tiefschwarz zu werden, ein Effekt den man hier schön sehen kann. Über die Herstellung und den Gebrauch dieser Tinte hat Andreas Schenk erschöpfend und lesenswert geschrieben. Das Galläpfel sammeln kann man im Moment sehr schön mit Pilze suchen verbinden. Man nehme alte Eichen, und suche die Unterseite der Blätter ab. Nach dem Schlupf der Wespen, durch die die Wucherungen entstehen, fallen die Gallen auch oft herunter, also auch unter dem Baum suchen. Die Gallen sind im Moment noch glatt und grün, schrumpeln später aber dunkel zusammen und werden in trockenem Zustand zerrieben. Es gibt verschiedenste Formen, immer als Reaktion des Baumes auf die Eiablage eines Insekts, das mit Gerbsäure abgewehrt werden soll. Die in den Wucherungen konzentrierte Gerbsäure wird mit Wasser/Wein, Eisensulfat und Gummi arabicum angemischt. Rezept hier.

Worte waren ursprünglich ZauberJuni/Juli: „Worte waren ursprünglich Zauber“ so wird Sigmund Freud zitiert. Das wird jedem Schreiber bei der künstlerischen Gestaltung wohlgewählter Zitate als tieferer Sinn hinter manchem poetischen Text einleuchten. Wie der Kalligraph mit Farbe, Form und Gestaltung den Worten eine Geltung zu schaffen sucht, die dem Inhalt und Wesen des Gesagten Rechnung trägt, sind die Worte Ausdruck einer Idee, die im besten Fall eine fast magische Wirkung entfaltet. Vielleicht nicht für jeden Leser in gleicher Weise, aber für manchen dafür in geradezu lebensverändernder Art. Worte sind auch heute noch Zauber.

Mai: Bei allen Veränderungen in meinem Leben (angenehmen, aber zeitraubenden) schaffe ich es leider kaum, die Homepage zu pflegen. Für den Mai will ich jetzt (am 5.7.) endlich eine Kleinigkeit nachliefern. Ein sehr schönes Kalligraphie-Video von Elli Konstanzer ist hier zu sehen.
Interessant die Anwendung der Spitzfeder, um mit Aquarell die Begleitgrafik zu schaffen.
Auch ihre Monatsprüche sind so schön, dass ich sie euch ans Herz legen will. Ihr findet sie auf ihrer Homepage.

April: Ein mir sehr liebes Buch ist „Alphabet – Die Geschichte vom Schreiben“ von Donald Jackson (hier ein Blick in sein Scriptorium). Das Buch ist in vielerlei Hinsicht lesenswert für KalligrafInnen, denn es beleuchtet die Geschichte aus den Augen der Schreiber, sieht deren Arbeitsweise in den Scriptorien der Welt, ihre Werkzeuge, Farben und Symbolsprachen.

Vielerlei handwerkliche Detailkenntnisse kann man aus diesem Buch erlesen, etwa der Umgang mit Ziegenpergament, das man besser an feuchter Luft beschreibt denn an trockener. Oder die ungewöhnlich vielen Schreibfehler im Book of Kells, das wegen seiner Ornamentik berühmt ist, aber beim Text keine besondere Sorgfalt zeigt. An manchen Stellen zeigen sogar die Figuren von den Rändern aus auf einen Fehler und spotten darüber (unten: merkwürdige Tierfigur mit Anhängseln).

Frühe FedervariantenMärz: Wenn man sich einmal am Schreiben mit der Gänsefeder versucht hat, kann man kaum noch nachvollziehen, warum es mit der Erfindung der Stahlfeder so lange gedauert hat. Offenbar war die Dringlichkeit der Erfindung dann allerdings derartig groß, dass sich gleich mehrere Erfinder um die Ehre drängeln. Ein Johann Jantssen in Aachen, ein Peregrine Williamson in Boston, in Frankreich und England andere. Anfänglich mühsam per Hand gefertigt, begann mit der Dampfkraftnutzung die Herstellung eines der ersten Wegwerfprodukte der Industriezeit. Das deutsche Museum hat einen interessanten Buchauszug mit verschiedensten Federmodellen der Frühzeit im Angebot. Unter anderem auch dieses niedliche Stahlgesicht zum Schreiben. Weitere Geschichtsdetails im Basler Scriptorium Schenk und bei Kallipos.de.

Currentschrift für Brause-SchreibbüchleinFebruar: Eine Currentschrift aus dem Jahr 1938, von F.H. Emcke für ein Brause-Schreibbüchlein geschrieben. Der Beispieltext ist symptomatisch für die Zeit: „Der junge Hirte stand…dunkel, klar und kriegerisch…“ sogar die Schafhirten waren damals stets bereit zum draufhauen. Aber hüten wir uns, kopfschüttelnd über das Vergangene zu lächeln.Sütterlin-Ausgangsschrift
Seit 1911 ein Herr Sütterlin die Currentschrift abgeändert hatte, um eine für die Stahlfeder leichter zu schreibende Variante der Schulschrift zu schaffen, wurde diese (unten abgebildete) rundere Schriftform gelehrt. Mit Erlass vom 1.9.1941 wurde die Currentschrift, und mit ihr auch die Sütterlin, als Schulschrift abgeschafft.

Januar: Die Wochenend-TAZ hatte das Thema Schreibschrift mit der Aufforderung des handschriftlichen Statements. So kommt man als Kalligrafin mal mit Martin Walser auf eine Seite 😉 Hier ein PDF mit allen Beiträgen. Walser ist ordentlich altersradikal in seinem Statement, aber als Schönschreiber schätze ich natürlich ebenfalls alles Handschriftliche.